Geschichte der Pfarre Pernitz Mitte des 19. Jh. bis Anfang 20. Jh.

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Aufbruch in die moderne Zeit

Auch für die Bevölkerung von Pernitz, Muggendorf und Neusiedl stellte die Mitte des 19. Jh. damit eine bedeutende Zäsur dar. Eben herrschten noch aus dem Mittelalter stammende Herrschafts-, Verwaltungs- und Rechtsstrukturen, und Land- und Waldwirtschaft wurden nach alter Sitte betrieben. Die zweite Hälfte des Jahrhunderts jedoch nahm als eine Zeit der rasanten Industrialisierungund großen sozialer Veränderung bereits das folgende Jahrhundert vorweg. Das kirchliche Leben hingegen war noch von Kontinuität geprägt, weil Pfarrer Eduard Dietrich fast vier Dekaden lang (1848–1889) die Pfarre betreute. Jahrzehntelange Erfahrung spricht aus Einträgen in der Pfarrchronik wie diesem: Schwerhörige Leute werden an Sonn- und Feiertagen, und wo sonst mehr Beichtleute sind, zur H. Beicht nicht angenommen. Pfarrer Dietrich brachte bereits 1853 die Volksmission nach Pernitz, bisweilen musste er die Pernitzer aber auch ermahnen: Es ist schon so oft und nachdrücklich auf die allerhöchsten Gesetzte aufmerksam gemacht worden, daß während des Gottesdienstes alle Geschäfts-, Amts- und Wirtshäuser geschlossen sein müssen. Nach der gestrigen wiederholt gehabten traurigen Erfahrung vom Gegentheil, davon, daß trotz aller pfarr-väterlichen Bitten und Vorstellungen, trotz aller kaiserlichen Gesetzte die Wirtsstuben unter dem Gottesdienst dennoch gesteckt voll sind, sieht sich die Pfarre … zu einer Anordnung gezwungen. Die Anordnung bestand darin, die Predigt ab sofort direkt auf das Evangelium folgen zu lassen, wobei der Pfarrer daran erinnerte, dass der Gnaden des Gottesdienstes verlustig ginge, wer einen Hauptteil der Heiligen Messe, wozu auch diese Teile zählten, versäume. Etwas später konnte der Pfarrer notieren: Gott sei Dank! Diese Anordnung hat doch die Nachlässigen mit mehr Eifer erfüllt, zurecht d. i. gleich zum Anfang des Gottesdienstes zu Kommen, um auch den ersten Segen zu bekommen – und in der Predigt sind jetzt immer viel Leute. Für die bisher Verstockten wird gebetet. Pfarrer Dietrich war aber bei den Pernitzern beliebt. Sie ließen es sich nicht nehmen, mit ihrem Pfarrer 1863 dessen 25. Priesterjubiläum zu feiern. Besonders entzückt waren die Anwesenden, als die Pernitzer Kinder als Soldaten und Marketenderinnen kostümiert in den Pfarrhof einzogen, um dem Pfarrer mit Holzgewehren und Gurkenfässchen ihr Aufwartung zu machen.
Die Pernitzer Schule, von der Kirche gegründet und jahrhundertelang geführt, kam mit der Aufhebung der Schulpatronate 1865 in die öffentliche Hand. Bildung wurde endgültig zur Staatssache. Das Reichsvolksschulgesetz von 1869 erhöhte die Schulpflicht auf acht Jahre und begrenzte – ein enormer pädagogischer Fortschritt – die Klassergröße auf maximal 80 Schüler. Das Schulhaus ( an der Stelle Muggendorfer Straße 7) war zwar 1868 erweitert worden, wurde für die rasch wachsende Bevölkerung aber bald wieder zu klein, sodass schließlich 1899 das vierte Schulgebäude in Pernitz errichtet wurde: Die Kaiser Franz Josef Jubiläumsschule, Muggendorferstraße 15, dient bis heute als Volksschule. Schon 1838 war für die Kinder der Rotte Thal eine eigene Schule erbaut worden; 1874 wurde eine Filiale in Feichtenbach eröffnet, um die sich ein jahrelanger Streit entspann. Der Pfarrer hatte sich ausbedungen, dass die Bauern für den Katecheten eine eine wöchentliche Fahrgelegenheit nach Feichtenbach bereitstellen müssten. Aber in einem Protokoll vom 27. Februar 1875 erklärten die gefertigten Insassen von Feuchtenbach, dass es ihnen unmöglich sei, ein oder zweimal pro Woche eine Fahrgelegenheit zur Verfügung zu stellen: Erstens ist es ja aller Welt bekannt, was Feuchtenbach für ein armer Ort ist, zweitens haben wir uns durch den Schulbau auf viele Jahre hinaus in Schulden gesetzt, drittens sind durch die Ausschulung der Häuser in Oed u. auf der Mandling bedeutende Hilfsleistungen entgangen … stellen wir demnach die Bitte, daß auch in Hinkunft der Herr Lehrer den Religionsunterricht ertheilen dürfe … Ist dies jedoch unzulässig, u. sollte diesen unseren Mitteilungen kein Glaube oder Gehör geschenkt werden, so wären wir zu unserem Bedauern gezwungen, unsere Religion aufzugeben und uns confessionslos erklären zu müssen. Diese Drohung empörte die Geistlichen sehr. Der Landesbezirksschulrat Wr. Neustadt ersuchte das löbliche Pfarramt, unter Rückschluß der obigen Acten bald möglichst die schätzbare Wohlmeinung hieher abgeben zu wollen, auf welche Art diese Angelegenheit am entsprechendsten zu regln wäre.
Die Behörde fand keine Lösung. Inzwischen stellte sich heraus, dass hinter der Eingabe weniger die Feichtenbacher Bauern standen, die zugaben, den Sinn des Wortes confessionslos gar nicht verstanden zu haben, sie hätten es mit confusionslos verwechselt, sondern der liberal gesinnte Kaufmann Josef Schnell. Pfarrer Ferdinand Just von Waidmannsfeld schrieb in einer Zuschrift an die Zeitung Das Vaterland: Die liberalen Ideen, welche bekanntlich in der Confessionslosigkeit gipfeln, beginnen bereits auf dem Lande in der bäuerlichen Bevölkerung, die bisher vom Gifthauche der modernen Aufklärung wenig inficirt schien, Anklang zu finden … ein bedenkliches Zeichen der bereits beginnenden Zersetzung des socialen Lebens …
Der Pernitzer Bürgermeister Franz Karnitsch bemerkte darauf seinerseits in einem Leserbrief an die Neue Freie Presse trocken:
Wenn früher sämtliche Kinder aus Feichtenbach nach Pernitz in die Schule gehen mussten, so dürfte sich die Zeitschrift Vaterland nicht wundern, dassdie Feichtenbacher dem Katecheten zumuten, den Weg einmal wöchentlich zu machen, Im übrigen unterrichte der brave Schullehrer auch das Fach Religion zur vollsten Zufriedenheit, wie die Prüfungen ergeben hätten.
Die Pfarre war aber nicht gewillt, auch noch den letzten Einfluss auf das Schulwesen aufzugeben. Endgültig wurde der Streit erst 19 Jahre später beigelegt. Am Ende wurde der Schulgang des Pernitzer Kooperators doch entlohnt.
Im Jahr 1870 ließ Pfarrer Dietrich den alten Friedhof rund um die Kirche auflösen und den Kirchenplatz planieren. Der Teil des Friedhofs westlich der Kirche wurde erweitert.
Am 6. Oktober 1872 trat die Pfarre Gutenstein ab. Fünf Jahre später zählte man im Pfarrgebiet 1532 Katholiken, 11 evangelische Christen und 9 Juden.
Der Wiener Büchsenmacher und Schwertfeger Fraz Jung, der in der ersten Hälfte des 19. Jh. in der Quarb eine Schleif- und Poliermühle gebaut hatte, verkaufte das Werk an Peter August Kruss und Ignaz Ortmann, der 1866 eine Kunstwollfabrik aufbaute. Vermutlich aufgrund mehrerer Schicksalsschläge verkaufte Ortmann das Werk 1885 an die Familie Brunzl, welche dessen Geschicke für lange Jahre bestimmen sollte. Die „Fabrik“ wurde allmälich zum bestimmenden Wirtschaftsfaktor der Gemeinde.
In kurzer Abfolge erfolgten nun viele Schritte zur Entwiklung der Gemeinde:
1864 wurden eine Postexpedition, also ein Postamt eingerichtet. Für Wirtschaft und Fremdenverkehr sehr wichtig war der Bau der Eisenbahnlinie   Wittmannsdorf-Gutenstein   durch die Niederösterreichischen Südwestbahnen. Die Linie wurde 1877 in Betrieb genommen. Schon damals wurden Doppelstockwagen eingesetzt.
Anfänglich durften die Züge die Maximalgeschwindigkeit von 12 km/h nicht überschreiten, worüber ein Redakteur der Presse spottete: Zwischen Waldegg sprangen Passagiere vom Zug herunter und einer lief vom letzten Wagen mit dem Zuge nach vorn, um den Locomotivführer zu einer Beschleunigten Fahrt zu ermuntern.
Die Freiwillige Feuerwehr wurde 1886 gegründet, 1897 wurde ein k.k. Gendarmerieposten eingerichtet und 1899 wurde der Telefondienst aufgenommen; die Telefonnummer 1 erhielt das Gasthaus Singer. Bloß die 1894 von den Behörden angedachte Zusammenlegen der Gemeinden Pernitz Muggendorf und Neusiedl wurde nicht umgesetzt.
Der junge und tatkräfte Pfarrer Erasmus Hofer (ᴾ1889–1903) begeisterte sich nicht nur für die Natur und die Berge, sondern ließ auch 1898 das Kirchenschiff neu errichten und um vier Meter verlängern. Ihn hatte gestört, wie sich das übermütige Jungvolk während der Messe im Vorbau der Kirche zusammendrängte. Zu diesem Jungvolk gehörte auch der 1889 in Pernitz geborene Dichter Bruno Ertler, der sich später an das Kaiserfest dieses Jahres erinnerte.
Am Sonntag, den 28. August 1898 wurde das neue Kirchenschiff mit einem Festprogramm eingeweiht. Dieses begann um ) Uhr 30 mit einem Marsch zur Kirche, dann um 10 Uhr Einweihung der Kirche und Festmesse, anschließend Frühschoppen. Nachmittags um 3 Uhr wurde in Franz Wagners Gartensalon ein Kaiser-Jubilaeums Festspiel der Pernitzer Schulkinder aufgeführt. Am Abend um 7 Uhr ging noch ein Festzug mit Musik durch den Ort, vorbei am Haus des Bürgermeisters Anton Hensler.

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